Mikroökonomie
Vorlesung 6

Prof. Frank Pisch PhD

Einführung

Motivation

Marktversagen und damit verbundene Ineffizienzen können dadurch getrieben sein, dass nicht alle Kosten und Nutzenaspekte einer Entscheidung in die individuelle Optimierung eingehen

William S. Vickry sagte 1963

In no other major area are pricing practices so irrational, so out of date, and so conducive to waste as in urban transportation

Teamarbeit: Was könnte er damit gemeint haben?

tagesschau.de

Falsche Anreize

Viele Kosten des Autofahrens in Innenstädten sind nicht eingepreist

  • Lärmbelastung, Zeitverluste, Unfälle, Umweltverschmutzung

Würden die Kosten eines gefahrenen Kilometers dies reflektieren, würden Autofahrer:innen andere Entscheidungen treffen

  • Die Grenzrate der Substitution ist niedriger als die tatsächlichen Opportunitätkosten; es wird also zu viel gefahren

In dieser Vorlesung beschäftigen wir uns mit

  • diesen Externalitäten ökonomischer Entscheidungen

  • dem besonderen Fall der öffentlichen Güter

Stand des Kurses

Wir analysieren also den zweiten Grund für Marktversagen

  1. Marktmacht (heute)

2. Externalitäten und öffentliche Güter

  1. Unvollständige und asymmetrische Information

  2. Menschliches Verhalten

Überblick und Resourcen

Ziele

  • Externalitäten und ihre Lösungsmöglichkeiten verstehen und anwenden

  • Das Problem der Bereitstellung öffentlicher Güter verstehen

Ressourcen

Kapitel im Varian: 35, 37

Goolsbee, Levitt, and Syverson (2014, GLS), “Mikroökonomik”, Stuttgart: Schäfer-Poeschel. Kapitel 16

YouTube, ChatGPT

Externalitäten

Definition

Externe Effekte sind soziale Konsequenzen individuellen Handelns, deren Kosten oder Nutzen nicht im individuellen Kalkül eingepreist sind

  • Akteure basieren Entscheidungen auf private Opportunitätskosten bzw. individuellen Nutzen und ignorieren soziale Auswirkungen

  • Es gibt sowohl positive als auch negative Externalitäten

  • Zumeist klassifizieren wird externe Effekte nach dem Ort ihrer Entstehung: Im Konsum oder in der Produktion

Teamarbeit: Überlegen Sie sich Beispiele für jede dieser Kategorien und tragen Sie sie in dieser Matrix ein:

positiv negativ
im Konsum
in der Produktion

Beispiele für Externe Effekte

positiv negativ
im Konsum Mülltrennung
Photovoltaikanlagen
Laute Musik
Autofahren
in der Produktion Innovation
Mitarbeiterschulung
Umweltverschmutzung
Ablehnung durch Versicherungen

Externalitäten der Stromproduktion

Im perfekten Wettbewerb bieten Stromproduzenten zu ihren individuellen Grenzkosten \(MC_I\) an

  • Darüber hinaus entstehen durch Luftverschmutzung externe Grenzkosten \(EMC\)

  • Für die Wohlfahrtsanalyse des Strommarktes sind die sozialen Grenzkosten \(SMC=MC_I + EMC\) relevant

Durch die Externalität entsteht ein Wohlfahrtsverlust, da Strom erzeugt wird, dessen Preis unterhalb der tatsächlichen Opportunitätskosten liegt

Analoge Überlegungen gibt es für Konsument:innen und für positive externe Effekte

Nach GLS 16.5

Wie addressieren wir Externe Effekte?

Das Ziel: Internalisierung der Externalitäten

  • Soziale Kosten und sozialer Nutzen müssen in trade-offs Berücksichtigung finden

Die Herausforderung

  • Es gibt definitionsgemäß keine Märkte, die Preise für externe Effekte festlegen

  • Es gibt oft keine anderen Mechanismen, die Kosten und Nutzen steuern

Lösungen

  1. Regulierung und Steuern

  2. Eigentumsrechte

  3. (Unternehmenszusammenschluss bei Produktionsexternalitäten)

Lösung 1: Regulierung und Steuern

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, wie der Staat Unternehmen zwingen kann, die externen Effekte zu internalisieren

  • Pigou Steuern

  • Mengenbeschränkungen wie Quoten bzw. Rechte

  • Bereitstellung durch die öffentliche Hand

Teamarbeit: Gehen Sie zurück auf Folie 7 und diskutieren Sie, wie Sie diese Instrumente einsetzen würden.

Pigou-Steuern

Der Staat kann eine Lenkungssteuer einsetzen

  • Beispiele: Congestion Charge London, Benzinsteuer, subventionierte Universitätsausbildung
  • Die Steuer wird dabei so gewählt, dass sie den externen Effekt gerade kompensiert

  • Der Marktpreis stellt sich genau so ein, dass ein effizientes Gleichgewicht erreicht wird

Nach GLS 16.5

Mengenbeschränkungen

Alternativ kann die Menge eines Gutes beschränkt werden

  • Die Grenzkosten steigen bei einer Übertretung massiv an

  • Beispiele: Fangquoten in der Fischerei, Jagdquoten

Die Bereitstellung durch den Staat ist eine Spezialform der Mengenbeschränkung

Nach GLS 16.7

Herausforderungen für Pigou-Steuern und Quoten

In der Praxis können wir nur versuchen, grob in die richtige Richtung zu steuern

  1. Der Staat muss über unrealistische Mengen an Information verfügen

    • Grenzkostenkurven
    • Bedingungen unterschiedlicher Unternehmen
    • Größe der externen Effekte
  1. Verteilung der Einnahmen

    • Wie werden soziale Härten abgefedert?
    • Risiko der politischen Vereinnahmung
  1. Die Durchsetzung an sich ist teuer

    • Messungen, Feststellung
    • Gerichtliche Auseinandersetzungen

Preisfrage: Welcher Mechanismus kann die meisten dieser Probleme prinzipiell lösen??

Lösung 2: Eigentumsrechte

Oft entstehen keine Märkte, da Eigentumsrechte fehlen

  • Luft, Ruhe, viele andere Ressourcen, Klima

  • Wissensübertragung, Ausbildung von Mitarbeiter:innen etc.

Die Einführung von Eigentumsrechten erlaubt es den beteiligten Akteuren zu tauschen

  • Relative Preise zeigen Knappheit des Gutes an

  • Individuelle Nachfrage wird durch soziale Nachfrage ergänzt, da auf dem Markt alle Aktuere präsent sein können

Beispiel: Rauchen

Wir betrachten nun das Beispiel des Rauchens (enge Anlehnung an Varian)

  • Zwei Personen leben in einer WG; eine raucht, die andere nicht

Das Rauchen erzeugt eine negative Konsumexternalität, da der Preis der Zigaretten nicht den Nutzenverlust der Nichtraucherin abdeckt

  • Der Raucher wird zu viel rauchen und wir haben eine Pareto-ineffiziente Situation

Klar definierte (Eigentums-)Rechte können hier Abhilfe schaffen

Rauchen – Präferenzen

Nach Varian 35.1

Person A ist Nichtraucher und schätzt sowohl Geld als auch saubere Luft (blaue Indifferenzkurven)

Person B raucht gerne und wertschätzt Geld (schwarze Indifferenzkurven)

Rauchergleichgewicht

Nach Varian 35.1

Das freie Rauchen ist offensichtlich nicht Pareto-effizient

Person A sollte dafür zahlen können, dass Person B weniger raucht

  • Person B erkennt dann die Opportunitätskosten (verlorenes Geld) und schränkt den Konsum ein

Nichtrauchergleichgewicht

Nach Varian 35.1

Auch das volle Nichtrauchen ist nicht Pareto-effizient, da Person B gerne raucht

Person B sollte Person A für den Nutzenverlust kompensieren können

Nota bene: Natürlich hat das Rauchen weitere gesellschaftliche Externalitäten (Krankheitskosten)

Coase-Theorem

Wir können festhalten:

Durch Externalitäten verursachtes Marktversagen kann durch handelbare Eigentumsrechte geheilt werden

  • Allerdings spielt die initiale Allokation diese Rechte eine zentrale Rolle für die Verteilungsfrage

Coase-Theorem

Gibt es keine Einkommenseffekte (haben Akteure quasi-lineare Präferenzen) ist es unerheblich, wem die Eigentumsrechte zugesprochen werden – die Externalität ist adressiert und hat ein bestimmtes Niveau.

Mit anderen Worten, Akteure können jedes Externalitätenproblem durch Verhandlungen lösen, solange es verfügbare Eigentumsrechte gibt

nobelprize.org

Herausforderungen für die Eigentumsrechtelösung

Verfügbarkeit der Eigentumsrechte

  • Es muss einen rechtlichen Rahmen für die Veräußerung geben

Transaktionskosten

  • Dazu zählen u.a. Rechtskosten, Suchkosten, Kommunikationskosten, und Kosten von Verhandlungsmacht

  • Coase’ Artikel “The Problem of Social Cost” (1960) beschreibt eindrucksvoll, warum Transaktionskosten so problematisch sind

  • Grundlage für seinen Nobelpreis 1991

Verteilungsprobleme

  • In der realen Welt sind Einkommenseffekte wichtig, sodass um initiale Allokationen hart gerungen wird

Kein anderes Marktversagen

  • Effiziente Lösungen erfordern, dass alle Akteure die Externalität kennen und gleich einschätzen, es keine Marktmacht gibt etc.

Anwendung: Die Tragödie der Allmende

DALL-E

Eine besonders häufige Form von Externalitäten tritt im Zusammenhang mit Gütern auf, die der Allgemeinheit gehören

  • Nehmen wir als Beispiel eine Weide in der Mitte eines Dorfes

  • Viele weitere Beispiele: Fischerei, Wälder etc.

Teamarbeit: Worin besteht die Externalität in diesem Fall? Was ist die Auswirkung?

Teamarbeit: Wie könnte das Allmendeproblem gelöst werden?

Lösungen für das Allmendeproblem

  1. Übergang von Gemein- zu Privateigentum und zu freiem Markt

    • Verringerung von Skalenerträgen, Wissens-spill-overs und anderen positiven Effekten

    • Marktversagen

  1. Regulierung bzw. wohltätige Diktatur

    • Ineffizienzen durch fehlende Information

    • Ausnutzung politischer Macht

  1. (Neue) Institutionen

    • Elinor Ostrom: Selbstorganisation mit glaubwürdiger Selbstverpflichtung oder gesellschaftlichen Kontrollmechanismen

    • Wiederholte Interaktion erzeugt relationale Verträge

    • Erste weibliche Nobelpreisträgerin in den Wirtschaftswissenschaften, 2009

nobelprize.org

Öffentliche Güter

Motivation

Eine enorme Menge an Gütern und Dienstleistungen wird vornehmlich durch die öffentliche Hand bereitgestellt

  • Schulausbildung, Universitätsausbildung

  • Wissen (Forschung und Entwicklung)

  • Landesverteidigung, Verwaltung, soziales Sicherungssystem

Teamarbeit: Warum ist das so? Gibt es Alternativen?

Definition

Es ist nützlich, Güter anhand von zwei Eigenschaften zu klassifizieren

  • Rivalität: Wie stark beschränkt die Nutzung durch eine “Person” die Nutzung durch andere?

  • Ausschließbarkeit: Wie teuer ist es, “Personen” von der Nutzung des Gutes auszuschließen?

Teamarbeit: Finden Sie jeweils ein Beispiel für ein Gut mit hoher und mit niedriger Rivalität bzw. Ausschließbarkeit

Hierauf aufbauend können wir eine Taxonomie erstellen

Ausschließbarkeit
hoch niedrig
Rivalität hoch Privates Gut Allmendegut
niedrig Klubgut Öffentliches Gut

Überblick

Das Problem öffentlicher Güter ist, dass sie vom privaten Markt nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden

  • Es gibt positive Externalitäten…

  • … sodass es zum Trittbrettfahrerproblem kommt

Wir gehen folgendermaßen vor

  1. Effiziente Bereitstellung
  2. Private Bereitstellung und das Trittbrettfahrerproblem
  3. Private Lösungen
  4. Öffentliche Bereitstellung

Wiederholung: Effiziente Bereitstellung privater Güter

Horizontale Aufsummierung, da jede:r seine eigene Einheiten konsumiert

Effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter

Vertikale Aufsummierung, da es keine Rivalität und keine Ausschließbarkeit gibt

Die Samuelson Bedingung

Die formale Bedingung für die optimale Bereitstellung öffentlicher Güter in einem Land mit Population \(N\) lautet

\[ \sum_i^N |MRS_{Ö,P}^i| = |MRT_{Ö,P}| = MC_Ö \]

  • \(Ö\) und \(P\) stehen für ein öffentliches Gut (Schulen) und ein privates Gut (Geld)

  • Optimalerweise wird Ö erhöht, bis die gemeinschaftliche Zahlungsbereitschaft den Opportunitätskosten entspricht

  • Die individuellen Zahlungsbereitschaften sind normalerweise niedriger

Die Bedingung ist nach Paul Samuelson benannt, einem der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts

nobelprize.org

Numerisches Beispiel mit zwei Personen

Zwei Personen \(i=1, 2\) haben Präferenzen über ein privates (\(x_i\)) und ein öffentliches Gut (\(F\))

\[ u_i(x_i,F) = 2 \ \mathrm{log}(x_i) + \underbrace{\mathrm{log}(F)}_{\text{Externalität}} \]

Die Menge/Qualität des öffentlichen Gutes hängt direkt von den Zahlungen \(F_i\) der Personen ab

\[ F = F_1 + F_2 \]

Die Budgetbeschränkung lautet \(x_i + F_i = 100\); die Grenzkosten des öffentlichen Gutes sind \(MC_F = 1\)

Die sozial optimale Menge ist durch die Samuelson Bedingung bestimmt

\[ \underbrace{\frac{\frac{\partial u(x_1,F)}{\partial F}}{\frac{\partial u(x_1,F)}{\partial x_1}}}_{MRS_{F,x}^1} + \underbrace{\frac{\frac{\partial u(x_2,F)}{\partial F}}{\frac{\partial u(x_2,F)}{\partial x_1}}}_{MRS_{F,x}^2} = \frac{x_1}{2F}+\frac{x_2}{2F} = \frac{100-F_1+100-F_2}{2F} = \frac{200-F}{2F} = MC_F = 1 \]

Die effiziente Menge \(F^{opt}\approx 66.7\)

Das Trittbrettfahrerproblem

Aber würden diese beiden rationalen Personen \(F^{opt}\) wählen?

Person \(i\) wählt ihren Beitrag \(F_i\) um ihren individuellen Nutzen zu maximieren; dabei nimmt sie den Beitrag \(\bar{F}_{j\neq i}\) als gegeben hin

\[ \mathrm{max}_{F_i} \ \ \ 2 \ \mathrm{log}(x_i) + \mathrm{log}(F_i + \bar{F}_j) \ \ \ \text{u.d.N.} \ \ \ x_i + F_i=100 \]

Die Bedingung erster Ordnung gibt uns die Reaktionsfunktion

\[ \frac{-2}{100-F_i^*} + \frac{1}{F_i^* + \bar{F}_j} = 0 \ \ \Leftrightarrow \ \ F_i^* = \frac{100-2\bar{F}_j}{3} \]

Durch den Schnittpunkt der beiden finden wir das Nash-Gleichgewicht

\[ F_1^* = F_2^* = 20, \ \ \text{sodass} \ \ F^* = 40 < F^{opt} \]

Im dezentralen Gleichgewicht vernachlässigen beide Personen ihre positiven Externalitäten; es ist ineffizient

  • Sie setzen ihre individuelle \(MRS_{Ö,P}^i\) den Grenzkosten gleich

Private Lösungen des Trittbrettfahrerproblems

  1. Hohe Nachfrage nach einem Gut

    • Gibt es einzelne Personen deren Zahlungsbereitschaft in Summe die Bereitstellungskosten übersteigt, wird ein öffentliches Gut immer angeboten (siehe Varian 37.1)

    • Auch die Qualität/Menge kann so relativ hoch sein (z.B. Museen, Theater, Oper)

  1. Altruismus, Warmes Leuchten (“warm glow”), Reziprozität, Sozialer Druck

    • Berücksichtigen Menschen auch den Konsum anderer in ihrer Nutzenfunktion, ist die Externalität internalisiert (Armenspende)

    • Der eigene Beitrag kann direkt Nutzen stiften: Man fühlt sich gut, weil man das Richtige tut (man gibt zurück, man hat ethische Prämissen)

    • Nicht-geben kann soziale Kosten haben

Öffentliche Lösung: Abstimmungen und Zwang

In allen demokratischen Ländern wird direkt oder indirekt über die Bereitstellung öffentlicher Güter abgestimmt

  • Die Güter werden dann aus dem Steuersäckel bezahlt, also per “Zwangsabgabe”

  • Die Bereitstellung ist typischerweise ineffizient und verdrängt private Beiträge

Ein einfaches Beispiel zur Abstimmung

  • Es wird nur über ein Ausgabenniveau abgestimmt

  • Jede:r Wähler:in hat eingipfelige Präferenzen und bevorzugt strikt genau ein Niveau

  • Es wird im Mehrheitswahlrecht über Ausgabenniveaus (nicht über diskrete Parteien) abgestimmt

Probleme

  • Das präferierte Ausgabenniveau des Medianwählers ist typischerweise zu hoch oder zu niedrig

  • Wenn Präferenzen nicht eingipfelig sind, kann es zu Intransitivität der sozialen Präferenz kommen und man kreist um verschiedene Alternativen

Wiederholungsfragen

  • Wählen Sie eines der Beispiele auf Folie 8 und erklären Sie anhand dessen die Konzepte “externe Grenzkosten” und “soziale Grenzkosten”. Erläutern Sie außerdem, wie in diesem Fall eine Regulierung durch den Staat aussehen könnte. Welche Herausforderungen gibt es dabei?

  • Nehmen wir an, es gibt auf einem Stück Land zwei Bauernhöfe. Im Grundbuch sind keine Rechte an diesem Land eingetragen. Beide Bauern lassen ihre Kühe jeweils frei grasen. Erklären Sie, zu welcher Externalität es hier kommt. Welche Lösung würde Ronald Coase vorschlagen?

  • Erklären Sie den Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Gütern.

  • Welche Arten der Bereitstellung öffentlicher Güter gibt es? Welche Vor- und Nachteile können Sie nennen?